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Rezension von Anton Vogel:
Mit ihrem Debüt-Roman Wellensang – Eine Limfjordsaga, erschienen Ende 2019 beim Burgenwelt Verlag in Bremen, entführt die Autorin Anna Eichenbach ihre Leserinnen in die frühe Wikinger-Zeit, an den Beginn jener frühmittelalterlichen Epoche, die wir trotz oder gerade wegen ihres herausragendsten Merkmals, der gewalttätigen Plünderfahrten, mit einer düsteren und geheimnisvollen Faszination verbinden.
Skandinavien am Ende des 8. Jahrhunderts. Schnelle Schiffe, in ihrer Klinkerbauweise und mit ihrem geringen Tiefgang die fortschrittlichsten Wasserfahrzeuge ihrer Zeit, übergriffiger Kampfmut gepaart mit einem Ehrenkodex, der manchen Überfallenem mit einem heimlichen Zeichen auch zur Flucht ermutigt, höfische Etikette an der Tafel des Jarls, Liebe und Romantik: In Turid Eirikdottirs Leben sind diese Elemente der Wikingerzeit so untrennbar miteinander verbunden wie für die Männer, mit denen sie zunächst eine distanzierte Freundschaft beginnt und sogar auf viking fährt. Doch nicht nur ein wagemutiges Unternehmen nimmt seinen Lauf, sondern auch eine Liebesgeschichte, die ihre eigene gefährliche Dynamik entwickelt.
Auf der anderen Seite der Nordsee lebt die junge Heather. Sie muss zunächst mit anderen Problemen kämpfen als mit den „heidnischen Ungeheuern“ vom Meer, kann doch ihr Vater nach einer schlecht verheilten Verletzung den Hof nicht mehr genügend bewirtschaften, und die Familie gerät in zunehmend schikanöse Abhängigkeit eines Großgrundbesitzers, dessen Sohn die hart arbeitende Farmerstochter bald noch in anderer Weise bedrängt.
Geschickt wie die Fäden der Gewebe, die Heather für ihre Herrschaft am Webstuhl anfertigt, verknüpft die Autorin die beiden Schicksalsstränge zu zwei in wechselndem Tempo ansteigenden Spannungsbögen, lässt sie sich in einem Höhepunkt mit schnellen, überraschenden Wendungen vereinen und verflicht darin auf spielerisch gekonnte Weise historische Gesellschaftsbilder: die bigotten Zwingmechanismen der christlichen Feudalherrschaft hier, dort die stärker individualisierte Identifikation mit der nordischen Vielgötterwelt, die Frauen etwas mehr eigene Rechte einräumte und sogar die Teilnahme an Kampfhandlungen ermöglichte. Dass die tatsächliche Existenz von Schildmaiden anhand frühzeitig als Beweise hochgejubelter Waffenfunde wie im Frauengrab Bj 581 beim schwedischen Birka (Anm. des Rezensenten) von Archäologen und Historikern weiterhin kontrovers diskutiert wird, tut der authentisch wirkenden Darstellung von Zeit und Personen in Anna Eichenbachs Roman keinen Abbruch, geht es doch um gute historische Fiktion, die dem Leser in unterhaltsamer und auch romantischer Weise vorführt, wie es sich vor 1200 Jahren in der Welt der Nordleute und Angelsachsen zugetragen haben könnte.
An Zutaten für eine spannend zu lesende Erzählung fehlt es in Wellensang nicht, als da wären: Liebe, Schwurfreundschaft, Verrat, Raubgier und Ehre, Trauer und Hoffnung vor dem plastisch ausgearbeiteten Hintergrund der sozialen, kulturellen und natürlichen Umwelt. Dennoch nutzen sich die verschiedenen Elemente nie in klischeehafter Weise ab. Weder werden die Wikinger durchgehend als überdrehte Bösewichte dargestellt noch die christlichen Engländer als wehrlose Lämmer, die sich dem Schlachten gottergeben ausliefern. Ebenso verzichtet die Darstellung der Charaktere auf Schwarz und Weiß, auf „nur edel“, „nur selbstbewusst, stolz und freiheitsliebend“ oder eben „nur böse und hinterhältig“. Der Leser freut sich und leidet mit Schicksalen, die durch verschiedenste Hintergründe und Wendungen zu dem werden, was sie am Ende sind, zu meistern haben, woran sie im Lauf der Handlung wachsen – oder woran sie zerbrechen. So steht am Ende keine finale Genugtuung über einen Verrat, der viele Schmerzen verursacht und Leben gekostet hat. Auch fallen sich keine glücklichen Liebespaare nach überstandenen Ängsten, Leiden und Kämpfen selig in die Arme. Fragen bleiben offen, Wunden, die nie ganz verheilen werden. Es bleibt das Leben, das auf jeden Fall für die wichtigsten Figuren weitergehen kann und vielleicht in eine hoffnungsvollere Zukunft führt.
Wellensang liest sich flüssig, kurzweilig, an vielen Stellen humorvoll, immer wieder spielt die Handlung mit Erwartungen des Lesers, um ihn kurz vor vermeintlich vorhersehbaren Wendungen aufs Neue zu überraschen. Wäre ich selbst kein langsamer Leser, der stets mehrere Tage für einen Roman braucht und sich diese Zeit gerne nimmt, könnte ich an dieser Stelle sagen: Ich habe Wellensang vor der letzten Seite nicht mehr aus der Hand gelegt. Auf mein geschildertes Lesetempo übertragen war es so.
Anton Vogel
Autor in den Burgenwelt-Anthologien: Luther-Aus dem Leben einer Legende/Auf düsteren Wegen/Im Schatten des Schwarzen Todes/Jahrmarkt der Mysterien