Im Gespräch mit Holger Göttmann

Warum hast du an der Ausschreibung für „Jahrmarkt der Mysterien“ teilgenommen? Was hat dich an dem Thema angesprochen?

Ein Wort sprang mich dabei direkt an: Jahrmarkt! Als Kind waren für mich die Mainzer Fastnacht, die Frühjahrsmesse oder der Johannismarkt immer große Abenteuer. Sie waren bunt, laut und lecker, aber auch geheimnisvoll und oftmals richtig gruselig. Was hatte ich für eine Angst vor Schwellköpfen, Pantomimen und Geisterbahnen! Aber ebenso faszinierte mich das alles.
Wie mir auffiel, ging es nicht nur mir so, denn Jahrmärkte, Umzüge und allgemein Festivitäten habe ich später in der Horrorliteratur oder auch -Filmen häufig gesehen. Und diese Mischung aus Schaudern und Faszination konnte ich vollkommen nachvollziehen. Mittlerweile verstehe ich, warum es mich dabei so gruselte: Denn es verbirgt sich üblicherweise eine dunkle Seite hinter ausgelassenen Menschenmassen.
Schon immer wollte ich daher ein solches Thema aus dieser zwiespältigen Richtung beleuchten und die Ausschreibung war die perfekte Gelegenheit dafür. Dabei hat es mich nun aus meiner Heimat weg zur schwäbisch-alemannischen Fastnacht gelockt. Als "Neigeschmeckter" war mir das keineswegs fremd und wirkte passender für die Anthologie.

Wie wichtig ist dir, was andere von deinen Geschichten halten?

Ein Autor schreibt, um gelesen zu werden. Das ist sicherlich ein zweischneidiges Schwert, denn man kann nie den Geschmack von allen treffen. Und jedes Mal, wenn es nicht gelingt, schmerzt das.
Das Schreiberherz schlägt natürlich höher, wenn man jemanden gut unterhalten konnte. Kritik ist aber unausweichlich und auch damit muss man umgehen lernen. Das ist oftmals ein harter, doch unausweichlicher Prozess. Komplette Verrisse oder sogar Beleidigungen sind unschön, aber auch damit muss man rechnen. Dabei ist gerade kritisches Feedback das Wichtigste. Denn nur so kann man herausfinden, was funktioniert hat und woran man beim nächsten Mal feilen oder gar aufpassen sollte.
Man kann also durchaus sagen, dass es mir sehr wichtig ist, was Andere von meinen Geschichten halten. Beim Schreiben lernt man schließlich nie aus.

Wie oft überarbeitest du deine Geschichten in der Regel, bis du mit ihnen zufrieden bist?

Es gibt den Moment, in dem man mit einem Text zufrieden ist? ;) Spaß bei Seite. Ich tüftele viel an meinen Texten. Sicherlich auch mal zu viel, denn mir fällt es sehr schwer, einen Text aus der Hand zu geben.
Daher mag ich Deadlines - sie sind Segen und Fluch zugleich. Einerseits Fluch, weil sie Stress erzeugen und ich häufig denke: "Hätte ich doch eine Woche mehr gehabt!" oder das klassische "Hätte ich doch nur früher angefangen!" Andererseits Segen, weil sie mich dazu zwingen, irgendwann zu einem Ende zu kommen. Deswegen bastele ich meist bis kurz vor Ende einer Deadline am Text.
Ohne eine solche Deadline ist das schwieriger. Eine genaue Zahl an Überarbeitungen kann ich da leider ebensowenig nennen. Wenn ich den Text zu häufig gelesen habe und textblind werde, merke ich, dass es Zeit wird. Das ist der Moment, wenn ich keine Fehler mehr ausmerze, sondern neue einbaue. Nach einer ersten Schrecksekunde gehe ich dann in die Zielgerade.

Schreiben erfordert viel Disziplin. Würdest du dieser Aussage zustimmen?

Auf jeden Fall! Zugegebenermaßen würde ich mich nicht als disziplinierten Menschen bezeichnen. Doch um einen runden Text mit einer vernünftigen Dramaturgie vorweisen zu können, muss man sich regelmäßig hinsetzen und schreiben. Nicht nur an den Tagen, an denen einen die Muse küsst. Auch an Tagen, an denen man sich nicht so fühlt. Das sind sogar die wichtigeren.
Daher schätze ich solche Ereignisse wie den National Novel Writing Month (NaNoWriMo), denn zu dieser Zeit setzen sich unzählige Schreiber auf der ganzen Welt hin und schreiben 50.000 Wörter im November - auch neben dem Brotjob. Zwar ist das hart, aber der Platz, an dem ich diese Disziplin gelernt habe. Die Gemeinschaft reißt einen mit.
Viele verfolgen den Traum: "Ich will mal einen Roman/eine Kurzgeschichte schreiben/veröffentlichen!" und tragen über Jahre hinweg richtig tolle Ideen mit sich herum. Sie beginnen damit oftmals, beenden es aber nicht und dann verläuft es sich im Alltag. Nein, man muss dran bleiben. Immer. Regelmäßigkeit ist wichtig. Wenn einem das nicht gelingt, hat man vielleicht eine gute Idee, die aber nie zu Papier gebracht wird. Und das wäre doch schade, oder?

Letzte Frage: Welches Buch hast du zuletzt gelesen und würdest du es weiterempfehlen?

Als letztes Buch habe ich einen Schmöker aus meiner Kindheit erneut hervorgekramt: "Die unendliche Geschichte" von Michael Ende. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich sie vorher jemals komplett gelesen habe, denn das war damals schon ein ziemlicher Wälzer für mich. Viele Erinnerungen verschwammen zwischen der Verfilmung, meinen Hörspielkassetten zur Geschichte und dem tatsächlichen Buch.
Was soll ich sagen? Ich habe mich neu in "Die unendliche Geschichte" verliebt! Früher dachte ich immer, dass es eine nette Fantasy-Geschichte ist. Doch sie ist weitaus mehr, denn beim erneuten Lesen sind mir so viele neue Nuancen aufgefallen. Es ist eine tolle Story über Phantasie, Kreativität und den grauen Alltag. Ebenso aber auch darüber, wie vielfältig ein Text sein kann und dass es nicht "die eine Interpretation" gibt. Gerade diese postmoderne Ebene spricht mir aus der Seele - und das habe ich natürlich als Kind noch nicht einmal ansatzweise entdeckt.
In meinen Augen ist das wirklich eine meisterhafte Geschichte, die ich viel zu lange nur "nett" fand. Von daher bin ich froh, Phantásien noch einmal besucht und Bastian Balthasar Bux erneut begleitet zu haben. "Die Unendliche Geschichte" kann ich wirklich jedem empfehlen. Auch denjenigen, die das Buch seit ihrer Kindheit nicht mehr angerührt hat. Schaut noch einmal rein! Man findet darin stets etwas Neues und vermutlich ist dies für jeden etwas Anderes. Das ist in meinen Augen die Magie an diesem Buch und warum es noch immer hoch aktuell ist - vielleicht sogar noch aktueller als früher.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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