Im Gespräch mit Adina Heinemann

Warum hast du an der Ausschreibung für „Jahrmarkt der Mysterien“ teilgenommen? Was hat dich an dem Thema angesprochen?

Ursprünglich wollte ich schon an der Ausschreibung „Auf düsteren Wegen“ teilnehmen, aber diese Geschichte entwickelte sich im Laufe des Schreibprozesses zu mehr als „nur“ einer Kurzgeschichte. Für die Pest-Anthologie hatte ich leider keinen richtigen Zugang gefunden. "Jahrmarkt" aber hat mich direkt in meine aktive Zeit in einer Mittelaltergruppe und die damit verbundenen Lager katapultiert. Da kamen sofort viele Ideen. Die Zusätze finster/düster, gruselig/grausig, Horror/Mystery, etc. passten ausgezeichnet, denn gerade in den Monaten habe ich viel Horror gelesen und viel Schandmaul gehört. Meine Geschichten, wie auch mein Rollenspiel, enthalten oft etwas schwärzere Züge. Viele passende Kombinationen also.

Wie bist du das Thema angegangen? Wie und wo hast du recherchiert? Und hat dich eine reale Vorlage oder ein besonderes Erlebnis zu deiner Geschichte inspiriert oder ist sie ein reines Produkt deiner Fantasie?

Die letzte Frage vorweg genommen, die Geschichte selbst ist reine Fantasie, wobei ich immer wieder, meist im Nachgang, feststelle, dass sich neben den bewussten Punkten auch unbewusst immer etwas aus meiner „realen“ Welt klammheimlich einschleicht. Bewusst ist natürlich die Stadt selbst, die hier den Hintergrundrahmen bildet. Mir schwebte sehr früh die Liebfrauenkirche als zentraler Punkt vor Augen. Das Bild der beleuchteten Kirche ist eine meiner, wenn nicht sogar die, frühesten Kindheitserinnerungen. Das Setting Frankenberger Obermarkt war für mich daher bereits gefunden. Auch, dass Puppenspieler die Akteure sein würden, stand für mich sehr früh im Prozess fest (ich finde menschlich detaillierte Puppen, besonders Bauchrednerpuppen, oft ziemlich gruselig). Als mir klar wurde, in welchem Bereich sich der Großteil der Geschichte abspielen würde, begann ich mit einer genaueren Recherche. Die Geschichte würde vor dem großen Brand von 1476 spielen, aber sowohl die Liebfrauenkirche als auch die ehem. Hospitalkapelle sollten eine Rolle erhalten – eine persönliche Hommage an diese Orte und an meine Familie mütterlicherseits. Ich musste also an dieser Stelle herausfinden, wann die genannten Gebäude entstanden sind, wann sie beschädigt oder zerstört wurden und was sich davor und/oder danach dort und in der näheren Umgebung befand. Auch wenn es eine fiktive Kurzgeschichte ist, so wollte ich doch die realen Bezugspunkte so genau wie möglich darstellen. Eine großartige Quelle war hier LAGIS Hessen. Das Hessische Ortslexikon wurde mir von einem Mitglied der Schreibwerkstatt, einem Hobby-Historiker und Experten betreffend der Frankenberger Geschichte, als eine der genauesten Quellen genannt. Hier fand ich neben den Daten der Gebäude auch die genaue Lage der Stadttore, die es zu der Zeit, in der meine Geschichte spielt, gab. Die Stadttore spielen bereits zu Anfang der Geschichte eine große Rolle. Der Weg auf den Obermarkt, aber auch gerade die Szene der Anreise, der Blick aus der Ferne auf die Stadt, sind Bilder, die ich im Kopf trage, weil sie mir von Kindesbeinen an vertraut sind. Im Zuge der Recherche stieß ich bei LAGIS auch auf historisch verbriefte Hinweise bezüglich der Anzahl und der genauen Daten der ersten Frankenberger Jahrmärkte. Welch ein Zeichen. Zudem habe ich mich über mehrere verschiedene Quellen versichert, ab wann und wie das von mir dargestellte Puppenspiel und das Rad des Schicksals verbrieft sind. Letztlich hat sich dann die Geschichte durch die Charaktere von selbst gesponnen und entwickelt, tatsächlich noch bis nach meiner ersten - offenbar verfrühten - Abgabe, die ich auf vehementes Drängen in meinem Kopf noch einmal zurückgezogen und, mit zwar kleiner, aber für die Charaktere wichtiger, Änderung neu einreicht habe.

Wusstest du bei der Einsendung deiner Geschichte, dass eine weitere Autorin aus deinem Heimatort (Ute Zembsch) ebenfalls an der Ausschreibung teilnimmt? Kanntet ihr euch bereits vorher? Und was hast du gedacht, als du erfahren hast, dass ihr beide es ins Buch geschafft habt?

Ute und ich kennen uns seit Mitte 2017 aus der halbjährlichen Schreibwerkstatt am Wochenende der VHS Waldeck- Frankenberg. Tatsächlich bin ich über Ute auf den Burgenwelt Verlag aufmerksam geworden. Da wir uns gegenseitig bei unseren Kurzgeschichten als Testleserinnen unterstützt haben, war es natürlich ein unglaublich tolles Gefühl, beide Geschichten gemeinsam in einer Anthologie zu wissen. Und gemeinsam in unserer Gruppe diese Nachricht verkünden, die Freude für uns und so unglaublich viel Unterstützung erfahren zu dürfen, war und ist schlicht ergreifend gewesen. Die Gruppe der Schreibwerkstatt ist einfach großartig, unglaublich vielfältig und reich an Wissen und ich schätze jede/n von ihnen sehr - und jedes Mal mehr. Ohne die Erfahrungen, die Stärke und Selbstsicherheit, die ich bisher aus der Schreibwerkstatt ziehen durfte, hätte es den Puppenspieler und all das hier niemals gegeben. Ein großes DANKE von Herzen dafür!

Zurück auf die Frage: Ute und ich stehen uns für unsere nächsten Projekte wieder gegenseitig als Testleserinnen zur Seite. Anfang Januar haben wir das erste mal gemeinsam in einer Frankenberger Buchhandlung gelesen. War ich aufgeregt? ... Ohne Worte ...

Wann hast du zuletzt geschrieben und was war es?

Ich halte mich noch meist an Kurzgeschichten. Mitte November habe ich meine bisher letzte Geschichte mit dem Titel „Von Wildschweinen und hausgemachter Suppe“ für den alljährlichen KTF (Krimi Thriller Fantasy)-Wettbewerb der SdS eingereicht. Da heißt es jetzt, abwarten. Parallel arbeite ich weiter an meinem Buchprojekt und weiteren Kurzgeschichten in/für völlig verschiedene Genres und Zielgruppen. An Ideen mangelt es mir nicht.

Letzte Frage: Welches Buch hast du zuletzt gelesen und würdest du es weiterempfehlen?

Ich versuche, neben dem täglichen MP3-Hörbuch - gegen das Dauerschleifen-Gedankenkino zum Einschlafen (meistens die „Harry Potter“-Reihe rauf und runter), jeden Abend noch etwas im Bett zu lesen. Im Grunde lese ich kreuz und quer, mal dies mehr, mal jenes, ohne festes Genre oder Altersempfehlung. Warum auch? In meinen Augen kann man ein Buch nicht zu jeder x-beliebigen Zeit lesen. Jedes Buch, jedes Genre hat seine Zeit(en), in denen es von seinem jeweiligen Leser gelesen werden möchte. Um Weihnachten herum werde ich oft etwas nostalgisch. Gerade lese ich „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende neu und mit erwachsenen Augen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich das rote Buch geschenkt bekam (das war Anfang der 1990er) und es damals in rot/grün las. Davor habe ich - das erste Mal und aus purer Laune heraus - den „Satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ gelesen. Erstaunlich, wie aktuell beide Geschichten und die darin enthaltenen Themen noch immer - oder gerade wieder (?) - sind. Und das nicht nur für Kinder und Jugendliche, dem eigentlichen Zielpublikum dieser beider Werke. Ich persönlich entdecke und markiere in jedem neuen, aber auch manch altem „Freund“,  immer wieder Sätze und Zitate neu, in denen ich etwas für mich Wichtiges finde, Worte, die oft genau auf meine jeweilige Situation passen. Fast wie ein Rat oder Trost. Empfehlungen? Schwer. Es gibt für jeden Menschen in jeder Lebenslage andere, für ihn/sie passende Bücher und Geschichten, und du hast sie gefunden, wenn du die erste Seite aufschlägst und spürst, dass du für eine Weile alles zurück lassen, ganz zwischen den Seiten verschwinden, lachen und weinen, etwas lernen und/oder zu dir selbst und einer Lösung finden kannst. So erwächst auch Empathie. 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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