Im Gespräch mit Regine D. Ritter
Warum hast du an der Ausschreibung für „Jahrmarkt der Mysterien“ teilgenommen? Was hat dich an dem Thema angesprochen?
Mich hat der Kontrast zwischen der fröhlichen Hintergrundatmosphäre und einer düsteren Thematik angesprochen. Außerdem traten auf Jahrmärkten immer Gaukler und Scharlatane auf, die den staunenden Zuschauern unglaubliche Dinge vorführten - und trotzdem wusste das Publikum immer, dass diese Vorführungen auf Illusionen basierten. Mir gefiel der Gedanke, dass in so einer Umgebung etwas wirklich Übernatürliches geschehen sollte.
Wie viel von dir steckt eigentlich immer in deinen Figuren? Gibt es vielleicht sogar Figuren, die dir sehr ähneln?
Bei den Kurzgeschichten steckt nicht viel von mir in meinen Figuren; zumindest glaube ich das. Bei längeren Geschichten merke ich aber, dass ich aufpassen muss. Da trägt die wichtigste weibliche Nebenfigur oft zu viele Züge von mir, und ich muss das bei der Überarbeitung gründlich ausmerzen, um keine "Mary Sue" zu erschaffen.
Wie wichtig ist es für dich, mit anderen Autoren vernetzt zu sein?
Sehr wichtig. Das ist auch einer der Gründe, warum ich Social Media intensiver nutze, als ich es "rein privat" machen würde. Aber ich genieße den Austausch mit anderen Leuten aus der Szene. Außerdem bekomme ich über diesen Austausch oft Lesetipps und stoße so auf Bücher, die sich sonst nie in die Hand bekommen hätte.
Vor dieser Anthologie hast du dich zuletzt unter anderem auch als Herausgeberin für die Pest-Sammlung „Der Schatten des Schwarzen Todes“ betätigt. Wie war das so für dich, auf die quasi „andere Seite“ zu wechseln?
Ich fand es sehr spannend! Es hat riesig Spaß gemacht, und ich war positiv überrascht, wie viel ich beim Auswerten der eingesandten Geschichten für mein eigenes Schreiben gelernt habe. Am liebsten würde ich gleich wieder eine Anthologie angehen, Themenideen wären da ... :) Aber ich würde nie das Schreiben zugunsten einer reinen Herausgebertätigkeit aufgeben.
Letzte Frage: Welches Buch hast du zuletzt gelesen und würdest du es weiterempfehlen?
"The Second Sleep" von Robert Harris. Das fiel mir vor einer Reise eher zufällig in den Einkaufskorb, weil ich absolut nichts über das Buch wusste. Der englische Klappentext deutete einen historischen Krimi an und ich dachte, das klingt nach einer leichten Reiselektüre. Ha, weit gefehlt! Am Ende von Kapitel 3 kommt ein so unerwarteter Twist, dass ich ab dem Punkt das Buch nicht aus der Hand legen konnte und für meine Mitreisenden nicht mehr zu sprechen war. Es blieb leicht lesbar und oberflächlich betrachtet eine simple Geschichte, aber die darunter liegende Thematik und Philosophie sind sehr düster.
Mir hat das Buch so gut gefallen, dass ich es seitdem schon zwei Mal verschenkt habe - allerdings mit überklebtem Klappentext! Bei der deutschen Übersetzung ("Der zweite Schlaf") verrät der Klappentext nämlich schon im ersten Satz viel zu viel und nimmt den LeserInnnen damit genau diesen Überraschungseffekt in Kapitel 3 weg.
Herzlichen Dank für das Gespräch!