Schäfflertanzjahr 2019 – Die Generalprobe
Mitte Dezember erreicht mich die Einladung zu einer ganz besonderen Veranstaltung – die Generalprobe des Original Münchner Schäfflertanzes 2019. Es ist eine Ehre, bei dieser Probe im ehrwürdigen Augustiner Festsaal dabei sein zu dürfen.
2019 ist Tanzjahr – nur alle sieben Jahre pflegen die Schäffler zwischen dem Dreikönigstag und Faschingsdienstag diese Tradition, die mich zu den Romanen um die Schäfflertochter Jakoba „Der Tanz der Schäfflerin“ und „Das Schicksal der Schäfflerin“ inspiriert hat. Während dieser Zeit absolvieren die Tänzer bis zu 400 Auftritte, zwischen sechs und neun pro Tag.
„Aba heit is koid“ übersetzt „Aber heute ist es kalt“, ist nicht nur der Text des Liedes, zu dessen Musik eines gewissen Wilhelm Siebenkäs der Tanz der Schäffler zelebriert wird, es ist tatsächlich ziemlich frisch am 5. Januar 2019. Eimerweise schneit es dicke Flocken vom Himmel. Trotzdem machen wir - also mein Mann, meine Freundin Gabi (ihnen gebühren die credits für die Fotos) und ich uns auf den Weg in die Stadt, um der Generalprobe beizuwohnen.
Allein das Tonnengewölbe des Saales mit zahlreichen Wappen bayrischer Städte und den geschnitzten Tierkreiszeichen ist sehenswert.
Der Festsaal gehört zu den wenigen Sälen in München, in denen diese Art von Decke noch erhalten ist. Der riesige Saal füllt sich langsam, zwischen den Zuschauern stechen die leuchtend roten Jacken und grünen Kappen der Schäffler hervor. Christian Baumann, der zweite Vorsitzende des Fachvereins der Schäffler Münchens, der übrigens das Vorwort zum meinem Roman „Der Tanz der Schäfflerin“ geschrieben hat, begrüßt die Gäste zum Auftakt der Veranstaltung. Zunächst wird ein Stummfilm, eine seltene Aufnahme des Schäfflertanzes von 1921 gezeigt, dann folgt ein „Tanz mit Drohne“, ein Ausschnitt aus den Proben, tatsächlich mit einer Drohne gefilmt.
502 Jahre Schäfflertanz – der erste Vorsitzende Wilhelm Schmid eröffnet offiziell die Veranstaltung mit einer „Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit. Herr Schmid wiederum hat das Vorwort zum „Schicksal der Schäfflerin“ geschrieben. Er erzählt von den Schwierigkeiten, einen geeigneten Raum für die Proben zu finden – der Boden muss passen und die Decke hoch genug sein – und wie mangels geeigneter Räume schließlich im Freien auf dem Gelände seiner Faßfabrik in München Laim geprobt wurde. Diese Schäfflerei ist die letzte in München. Die Schmidsche Fassfabrik war der erste Rechercheort, den ich besucht hatte, bevor ich mit dem Roman begann und ich erinnere mich noch heute an die eindrucksvolle Führung durch die Schäfflerei mit dem Chef persönlich.
Die Proben begannen bereits Anfang Oktober, direkt nach der Wiesn – offiziell Oktoberfest -, das regelmäßig im September beginnt, aber das ist eine andere Geschichte.
Die Proben leitet ein Tanzlehrer. Die Schäffler leiden gottseidank nicht unter Nachwuchssorgen, im Gegenteil, es gibt ausreichend Ersatztänzer, falls es krankheitsbedingte Ausfälle gibt, oder der eine oder andere Arbeitgeber nicht gewillt ist, die Tradition mit sechs Wochen Urlaub zu unterstützen. Die Tänzer sind heute nicht mehr alle Schäfflergesellen. Schon vor langer Zeit öffnete man den Tanz für andere Handwerksberufe, da es nicht mehr ausreichend Schäfflergesellen gab – die Schäfflerei ist ein aussterbendes Handwerk. Früher musste man ein ehrbarer Schäfflergeselle sein, körperlich gesund und kräftig, mit einwandfreiem Leumund, unverheiratet und geborener Bayer sein. Auf die wenigsten der Tänzer dürfte das heute noch zutreffen. Viele arbeiten jedoch in schäfflernahen Berufen beispielsweise in Brauereien.
Zurück zum Tanz – die heutige Choreografie stammt aus der Biedermeierzeit, die Kostüme sind seitdem nahezu unverändert. Es gibt Vortänzer, Fassschlager, zwei Kasperl und den Reifenschwinger. 25 Mann pro Tanz.
Der nächste Programmpunkt ist die Vorstellung des neuen Münchner Kindls. Das Wahrzeichen Münchens in Gestalt einer hübschen jungen Frau in schwarzgelber Kutte ist auf der eindrucksvollen Zunftfahne der Schäffler verewigt.
Das Münchner Kindl ist traditionsgemäß Tochter, Enkelin oder Schwester eines Tänzers oder mit einem Schäfflermeister verwandt. Das Kindl der letzten Tanzsaison übergibt mit einem Prolog die Verantwortung an das neue Kindl, das die Tänzer bei den kommenden Auftritten begleiten wird.
Die Schäffler, die bislang mit an den Tischen gesessen und ganz entspannt Schweinsbraten mit Knödl, Sülze und Bier oder was die Küche sonst noch so hergab genossen haben, sammeln sich am Ende des Saales. Jeder einzelne Mitwirkende inklusive Busfahrer wird vorgestellt, nebst kleiner Charakterisierung wie „stilles Wasser, aber seeehr tief“, oder „ist gerne der letzte Gast im Wirtshaus“. Erstaunlich viele junge Burschen sind dabei, das eine oder andere der feschen Mannsbilder könnte auch Mitglied einer Boygroup sein.
Um 21.36 Uhr ist es dann soweit.
Die Holledauer Randstoasuzler - der Name muss in etwa „Randsteinsauger“ bedeuten – spielen auf und die Schäffler ziehen mit ihren Buchsbaumbögen ein.
Apropos Buchsbaum – „aus Buchs die Kränzlein grün verwelken nicht“, aber dieses Jahr ist das so eine Sache. Bayern wurde vom Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) heimgesucht. Das ist ein fieser ostasiatischer Kleinschmetterling, der sämtliche Buchsbäume ratzeputz auffrisst. Auch mein Buchsbäumchen, vor der Eingangstür aufgestellt, um Hexen abzuhalten -auch das ist eine andere Geschichte -, ist dem Sauvieh, dem damischen, zum Opfer gefallen. Anscheinend wurde für die Buchsbaumbögen der Münchner Schäffler Material aus anderen Gefilden importiert, die Bögen sehen jedenfalls prachtvoll aus.
Der Höhepunkt des Abends beginnt, die Generalprobe des Original Münchner Schäfflertanzes nimmt ihren Lauf. Die Tänzer bieten einen prachtvollen Anblick. Manch einem unerfahrenen Tänzer stehen Anspannung und Schweiß ins Gesicht geschrieben, die alten Hasen tanzen mit breitem Lachen im Gesicht, man spürt die Begeisterung und Liebe zur alten Tradition. Es ist ein bewegender Augenblick, wenn die Bögen sich anscheinend mühelos aneinanderreihen wie ein Uhrwerk, wenn „die Schlange“ getanzt wird. Als die Schäffler „die Krone“ tanzen, werden spinnenfingrig Handys hochgehalten, sogar von der Münchner Schickeria, die sich bis jetzt hauptsächlich selbst abgelichtet hat. „Die Krone“ ist wirklich beeindruckend, der Moment, wenn der goldene Reichsapfel in der Mitte auftaucht – Gänsehaut! Zwischendrin brandet immer wieder Beifall auf, es wird gejauchzt und gepfiffen, die Tänzer haben das Publikum längst in ihren Bann gezogen. Der Tanz neigt sich dem Ende zu – das Fass wird in die Mitte gebracht und nacheinander zeigen alle drei Reifenschwinger nacheinander ihre Kunst.
Auf dem Fass stehend werden zwei blauweiße Reifen geschwungen, über den Kopf und zwischen den Beinen durch. Man muss dazu sagen – in dem Reifen steht ein gefülltes! Schnapsglas. Wenn es noch drin ist, nachdem die Nummer beendet ist, trinkt es der beherzte Reifenschwinger unter dem Jubel der Menge aus und wirft es dann hinter sich - die Kasperl versuchen, es zu fangen, was meistens gelingt. Einige Menschen im Saal haben inzwischen schwarze Nasen, da hat Kasperl mit schwarzer Schminke aus der gedrechselten Holzfigur an seinem Gürtel „die Gretl mit der Butt´n“ bereits ganze Arbeit geleistet. Das Nasenschwärzen erinnert an den Schwarzen Tod, soll aber in diesem Fall Glück bringen.
Dann ist es vorbei. Es war toll. Es war berührend. Es war einzigartig! Es war beeindruckend! Wenn ich „Der Tanz der Schäfflerin“ nicht schon geschrieben hätte, würde ich es jetzt glatt tun. Meine Freundin Gabi schnappt sich einen der Tänzer, und fragt, ob sie „sein Marientaferl“ fotografieren darf. Der junge Mann schaut fragend, zeigt sie doch auf sein bestes Stück. Nein, sie meint natürlich die Schärpe mit dem bayrischen Wappen und dem Zunftwappen der Schäffler mit den gekrönten Löwen. Er lacht und stellt sich in Pose.
Zu gerne hätte ich fotografiert, wie sie fotografiert, aber ich war nicht schnell genug.
Am nächsten Tag wird der erste Tanz traditionell vor dem Münchner Oberbürgermeister vor dem Rathaus auf dem Marienplatz stattfinden, der letzte Auftritt ist am Abend des Faschingsdienstags vor der Herberge der Schäffler, wo Schuhe, Kostüme, Fahne und sämtliche Utensilien aufbewahrt werden und auch die Sitzungen abgehalten werden. Übrigens können auch Privatpersonen einen Schäfflertanz buchen, Auskunft dazu gibt es beim Schäfflerbüro oder unter www.schaeffler.com. Dort findet man auch die Tanztermine und Orte, an denen die Schäffler ihren uralten Zunfttanz präsentieren.
Also, auf geht´s nach München – erlebt diese wundervolle Tradition hautnah mit! Wer etwas über die Entstehung des Tanzes wissen möchte, verknüpft mit Münchner Geschichte und dem Leben einer temperamentvollen jungen Frau aus dem 17. Jahrhundert, lese gerne in meinen Büchern nach, falls noch nicht geschehen. Außerdem gibt es auf meiner Homepage (www.wieland-autorin.de) einen Bericht über die Entstehung des Buches und ein Interview mit dem zweiten Vorsitzenden Christian Baumann. Dort gibt es auch die nächsten Termine zu den Romanausflügen, Stadtführungen zu Schauplätzen aus dem Buch mit Lesung.
„Der Tanz ist vollbracht – der Reifen hat gekracht!“